Scale Sheer Surface und P.A.I.N. inner Fabrik Duisburg

 Zum ersten mal nach der fetten 2000er Silvesterparty machte ich mich mal wieder auf in die Fabrik, um für einen Abend mein Gehör und den Rest meiner Sinne den verrückten Belgiern von Scale Sheer Surface anzuvertrauen, die ich bisher jedes Mal gesehen hatte, wenn sie im Umkreis aufspielten und die nicht umsonst die einzige Band ist die man in einem Atemzug mit den Göttern von NoMeansNo nennen darf. Den musikalisch Bewanderteren von euch dürfte, falls ihr von SSS jetzt bisher noch nix gehört habt, damit klar sein in welche musikalische Kerbe SSS reinhauen: JazzCore vom Feinsten gesalzen mit einer gehörigen Prise Lebensfreude, Humor und Anarchie. Diese Mischung wird noch angereichert mit der Tatsache, dass Teile von Scale Sheer Surface Anhänger der Diskordischen Philosphie sind, so schmückt ein unauffälliges FNORD ihre Poster, ein Lied von ihnen heißt Eva Geblumenkraft, eine Scheibe von ihnen hört auf den wohlbehkannten Titel "Operation Mindfuck" und sie haben eine Scheibe beim Label Conspiracy Records veröffentlicht.
 Als ob das nicht genug der guten Gründe wären, sind die Jungs auch noch begeisterte Zocker, Manuell (Bass) kennt Illuminati und ihr Name stammt von dem TableTopSpiel Warhammer 40K, und bezeichnet die Fähigkeit, mit bloßen Händen glatte Steilwände erklimmen zu können, eine Fertigkeit also, die, seien wir ganz ehrlich, den Wenigsten von uns gegönnt ist.
 Eröffnet wurde die Party von den Engländern von Less, die ein Ableger von P.A.I.N.(Akronym für "Propaganda and Anarchist Information Network") sind und die beide korrekten Ska mit Punk, Hc, Reggae und Dub Einflüssen fabrizieren. Kann man sich ohne bedenken geben solange man nicht überzeugter Crustie ist, sach’ ich mal, und schon Aufgrund der Melange der verschiedenen Stile eine ideale Combo um mit SSS im Package das Haus zu rocken. Less zockten dann auch ziemlich erfolgreich etwas über eine Stunde um dann den belgischen Weirdos die Bühne zu überlassen, aber im Laufe das Surface Gigs kam noch mindesten einer der Less Mannen (ich schätze mal der Name hat irgendwas mit einem Wortspielchen um Pain-Less zu tun) auf die Bühne um den Sound mit diversen krassen Loops zu verfeinern.
 Scale Sheer Surface legten erst mal zu zweit los und hauten ohne Gesang (oder vertue ich mich da?) mit Bass und Drums richtig schön in die NoMenansNo-Kerbe zu guten alten Wrong - Zeiten, und sie hörten sich an als ob da gerade eine fünfköpfige Kapelle aufspielen würde, so voll und ideenreich kam das Brett da rüber, so wie man diese Phänomem ja auch von NoMeansNo und anderen Hochkarätern kennt. Nach ca. 10 Minuten dieses Instrumentalgeballers schlängelte sich dann ziemlich ruppig ein Typ mit asiger Sonnenbrille und schwarzer Metallermatte nach vorne, um dann im Pit rumzuposen. "Mein Gott, wo kommt der verpeilte Asi denn her?", dachte ich und überlegte mir, was so Typen veranlasst, sich auf eine derartige kombinierte Harakiri/Kamikaze Mission zu begeben. Gleichzeitig freute ich mich aber auch schon auf die Möglichkeit, einen dieser raren Momente zu erleben, wenn ein oberflächlich betrachteter Unsympath sich als doch abfeierwürdiger Genosse erweist. Das passierte dann prompt auch: In genau dem Augenblick, als sich vor meinem geistigen Auge ein Film mit den abstrusesten Möglichkeiten, die das Auftreten dieses Prolls noch mit sich bringen könnte, in 3D abspielte, erklomm dieser die Bühne der Fabrik, schnallte sich seine Gitarre um, kickte seinen Distortion an, hämmerte den ersten Monsteriff aus seinem Amp, und dann wurde stilecht drauflosgepost. Ein Knaller!
 Die anderen Mannen standen dem in nichts nach, und mit vereinten Mattenperücken wurde erst mal vom Feinsten in Kiss Manier abgerockt, was dem Publikum gefiel, da die 80er Metal Klamotte ja mittlerweile so 'ne Art von Revival erfährt. Wild wurden die Verkleidungen gewechselt, irgendwann waren sie dann auch Scale Sheer Surface aus Honolulu mit Hawaiihemden und Manuel trommelte mit zwei Zahnbürsten auf irgendwelchen Bongos, wobei der Text sich um irgendwas wie "I don't brush my teeth" drehte. Vollkommen abgefahren. Fröhlich wurde mit Bier um sich gespritzt, dann kam neben den gewohnt guten Eigenkompositionen der Surfacer auch noch ein Cover der Dead Kennedys und, last but not least gab's dann ein 15-minütiges Medley mit den grössten Hits von NoMeansNo aus der Wrong Zeit, bevor sich der imaginäre Vorhang der Fabrikbühne vor der zufriedenen und mitllerweile ziemlich breiten Menge schloss.
  Leider war dies das vorletzte Konzert der Mannen, da Bootsy nach Indien auswandern wird und das jetzt wohl auch schon getan hat. Das Abschiedskonzert im heimischen Antwerpen am nächsten Tag gaben wir uns dann leider doch nicht mehr, aber so ist das halt mit Schnapsideen, die sich am Abend in den strahlendsten Farben vor einem ausbreiten und dann am nächsten Morgen im Katzenjammer ersticken. Schade, war auf jeden Fall eine meiner absoluten Lieblingsbands, und ich hoffe dass die zukünftigen Projekte der Mitglieder dieser Truppe auch ihren Weg in unsere Gefilde finden werden, denn da die Jungs alle Vollblutmusiker sind, wird es diese auf jeden Fall geben.
Birger